Gatz (Forts. 2)

1943/4 kamen auch SS-Leute zu uns, und einer sagte zu meiner Mutter: ‚Was wir diesen Menschen jetzt antun, kommt alles auf uns zurück. Das werden wir bezahlen. In der Bibel steht, mit dem Maß du messest, wirst du wieder gemessen.‘ Da war ich zehn. Ich höre das noch heute. Ich war sehr aufnahmefähig. Da sitzt die Mutter auf der Bank, stillt das jüngste Kind, die Brust raus. Der SS-Mann sitzt daneben, der war um die 40, und er erleichtert sich, indem er das erzählt. Sie sind vereidigt, er darf es nicht erzählen, aber er muss. Sie erkennen, dass sie Furchtbares machen, aber sie können nicht raus. Wenn sie flüchten, verlieren sie ihr Leben. Es gab mehrere Selbstmorde. Dann hieß es immer, das war ein Unfall.

„Guckt da nicht hin“, sagte unser Lehrer, „das sind Untermenschen, die haben keine Berechtigung zu leben.“ Der war Nazi durch und durch. Ich habe schockartig reagiert, ich konnte nicht mehr reden im Unterricht. Der hätte mich erschlagen können, ich konnte nichts mehr sagen.

Als ich Paul Schäfer erlebte, begriff ich irgendwann, wie ähnlich er Adolf Hitler war und immer ähnlicher wurde. Ich konnte es ihm sogar sagen. Es dauerte lange, bis ich mich gelöst habe. Aber dabei half mir, dass ich diese Erlebnisse der Achtjährigen nie vergessen habe.“

© Ida Gatz

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